Dienstag, 17. Februar 2015

Fragen und Antworten zum brasilianischen Lebensmittelrecht

Liebe Deutschsprachige in Brasilien,

das brasilianische Lebensmittelrecht ist eine Querschnittsmaterie mit komplexen juristischen Verschränkungen zwischen Aspekten der Gefahrenabwehr, des Verbraucher-, Tier- und Umweltschutzes sowie der Gewerbeaufsicht im weiteren Sinne. Engmaschig regelt es die Herstellung, (Weiter-) Behandlung, Lagerung sowie den Transport, den Verkauf und die Nachverfolgbarkeit von Lebensmitteln. Dabei umfasst es unzählige Vorschriften zivil-, straf- und verwaltungsrechtlicher Art, insbesondere betreffend Lebensmittelhygiene, Seuchenbekämpfung und Verbraucherinformation. Regelungsgegenstand bilden nicht nur Lebensmittel als solche, sondern auch Düngemittel, Pestizide, Gentechnik, Zusatzstoffe, Behältnisse, Verpackungsmaterialien sowie Geräte, Ausrüstung, Reinigungs-und Desinfektionsmittel. Wichtige Aspekte dieses Themas hat Rechtsanwalt Christian Moritz im folgenden FrageAntwort-Katalog aufbereitet, welcher zuerst auf "topicos.de" erschien und uns von Christian Moritz freundlicher Weise zur Veröffentlichung bereitgestellt wurde.

Welche Schutzgüter hat der brasilianische Gesetzgeber beim Lebensmittelrecht im Auge?

Das Lebensmittelrecht soll nicht nur die Gesundheit der Bevölkerung und der Tiere sowie die Umwelt schützen, sondern auch zugleich Wettbewerbsverzerrungen und Täuschungen der Abnehmer einen Riegel vorschieben.

Wer bestimmt die Spielregeln im Einzelnen?

Der brasilianische Bundesgesetzgeber hat aufgrund der verfassungsrechtlichen Zuständigkeitsregeln die im Verhältnis zu den Bundesstaaten und Gemeinden konkurrierende (vorgehende) Gesetzgebungskompetenz für das Lebensmittelrecht inne. Er hat mit zahlreichen Gesetzen und Verordnungen im Bereich des Gesundheitsministeriums MS und des Landwirtschaftsministeriums MAPA von dieser Kompetenz Gebrauch gemacht. Die Gesetzgebung im Bereich des MAPA ist über die Datenbank SIS-LEGIS (www.agricultura.com.br) und die unter der Verantwortung des MS stehende Gesetzgebung über VISALEGIS (www.anvisa.com.br) abrufbar. Die 27 Bundesstaaten und über 5.000 Gemeinden können indes für ihr jeweiliges Gebiet über die im Bund gesetzten Mindeststandards hinausgehen, worauf sich Unternehmen mit Aktivitäten in mehreren Bundesstaaten beziehungsweise Gemeinden einstellen müssen.

Treibt die Wirtschaftsgemeinschaft Mercosul eine Vereinheitlichung der Lebensmittelsicherheit in ihrem Raum voran?

Nein, leider nicht. Das Lebensmittelrecht der Mercosul-Mitgliedstaaten ist im Gegensatz zur Lage in der Europäischen Union heute – abgesehen von Verpackungs- und Etikettierungsstandards – weitgehend noch nicht vereinheitlicht. Ausländische Unternehmen müssen sich hier auf jeden einzelnen Markt gesondert vorbereiten. Demgegenüber steht es um die internationale Einbettung Brasiliens im Bereich des Lebensmittelrechts ansonsten recht gut. Das Land ist WTO-Gründungsmitglied und Unterzeichner der einschlägigen Abkommen im Bereich der Lebensmittelsicherheit.

Wer überwacht die Lebensmittelsicherheit von der Produktion bis zur Abgabe an den Verbraucher in Brasilien?

Als Hauptakteure im Bereich der Lebensmittelsicherheit durch Prävention und Kontrolle agieren das Landwirtschaftsministerium MAPA für pflanzliche und tierische Produkte und das Gesundheitsministerium MS, letzteres insbesondere durch seine in 1999 errichtete Behörde ANVISA, für verarbeitete Lebensmittel. Punktuelle Nebenrollen in der Lebensmittelsicherheit nehmen das Umweltministerium (hier durch sein Umweltschutzinstitut IBAMA), das Wirtschaftsministerium MDIC (durch sein Institut für Messwesen, Normung und Industriequalität INMETRO), das Wissenschafts- und Technologieministerium MCT (mit seinem interministeriell zusammengesetzten Gremium CNTBio) sowie das Justizministerium (mit seiner Verbraucherschutzbehörde DPDC) wahr. In der Gesamtschau ist eine gewisse Fragmentierung der behördlichen Verwaltungsstrukturen und Vielzahl der beteiligten Behörden mit teilweise unklaren oder überlappenden Zuständigkeiten nicht von der Hand zu weisen

Interessieren sich deutsche Unternehmer überhaupt für den brasilianischen Lebensmittelsektor?

Deutsche Unternehmer kommen mehr und mehr mit der brasilianischen Lebensmittel- und Landwirtschaft in Berührung. Darunter befinden sich nicht nur Hersteller von Landmaschinen und Düngemitteln sowie Abnehmer von brasilianischen Agrarrohstoffen, sondern – meiner Einschätzung nach zahlenmäßig ansteigend – auch Zulieferer von High-Tech und Knowhow für Produktions- und Qualitätssicherungsprozesse sowie Lebensmittelhersteller mit eigenen Vertriebsund / oder Produktionsstrukturen in Brasilien.

Wie groß ist dieser Markt in Brasilien?

Brasilien verfügt wie kein anderes Land über fruchtbare Agrarflächen mit günstigen klimatischen Bedingungen. Und obwohl Brasilien seine Anbaufläche in den letzten 20 Jahren schon um rund 40% ausgedehnt hat, schätzt die FAO das Potenzial des Landes mit 40% Wachstum von 2010 bis 2019 bei der Lebensmittelproduktion um ein Vielfaches höher als das von Europa (4%), Russland / Indien (beide 26%) China und den USA/ Kanada (beide 15%) ein. Damit stellt sich die Lebensmittelwirtschaft gegen den Trend der seit 2011 schwächelnden brasilianischen Gesamtwirtschaft. Der Absatz von Lebensmitteln und Getränken wuchs auch in den letzten Jahren deutlich und soll sich nach Angaben des Branchenverbandes Abia in 2014 auf insgesamt 533 Mrd. brasilianische Reais belaufen.

Macht Brasilien mit Lebensmittel­ skandalen von sich reden?

Mit großen, schlagzeilenträchtigen Lebensmittelskandalgeschichten wie der sogenannte Melamin-Skandal des chinesischen Milchpulver-Herstellers „Sanlu“ Ende 2008 in China kann Brasilien nicht aufwarten. Allerdings tauchen immer wieder vereinzelt kleinere Fälle von Unregelmäßigkeiten wie beispielsweise Verfälschungen oder Falschauszeichnungen von Lebensmitteln – so in den vergangenen Jahren bei Olivenöl, Milch, Fisch und Spirituosen – auf.

Wie verhält sich Brasilien zum Anbau und Vertrieb von gentechnisch veränderten Pflanzen?

Anbau und Handel von gentechnisch veränderten Pflanzen sind in Brasilien seit 1995 beziehungsweise in konkretisierter Form seit 2005 gesetzlich geregelt und grundsätzlich – bei Vorlage von bestimmten Studien und Gutachten zu Umweltwirkungen sowie unter Vorbehalt der Erlaubnis durch die Behörde CTNBio – gestattet. Zu den gentechnisch veränderten Pflanzen (GMO) gehören in Brasilien derzeit insbesondere Bohnen, Mais und Soja. Inzwischen liegt Brasilien hinter den USA als zweitgrößter Produzent von GMO. Lebensmittel, die mehr als 1 Prozent GMO enthalten, müssen durch das dem Zeichen für Radioaktivität optisch nachgebildeten gelbfarbenen Gentechnik Dreieckszeichen „T“ mit dem Namenszusatz „transgênico“ zur Information des Konsumenten kenntlich gemacht werden. Verstöße hiergegen werden in der Praxis nicht toleriert. So hat beispielsweise ein Gericht in São Paulo (27a Vara Cívil) dieses Jahr die Bimbo do Brasil, Inhaberin der Marke Nutella, verurteilt, seine Produkte mit diesem Symbol kenntlich zu machen und für jedes im Handel nicht gekennzeichnetes Produkt ein Bußgeld von 1.000 brasilianischen Reais zu zahlen.

Wo liegen aktuell die Baustellen im Bereich der Lebensmittelwirtschaft?

Diskussionsstoff liefern seit Jahren die Schwachpunkte in den Bereichen des Kreditzugangs und der Logistik (Lagerung und Transport). Zudem bremsen das überregulierte Arbeits- und Steuerrecht sowie die seit 2010 bestehende Rechtsunsicherheit beim Erwerb von Landwirtschaftsflächen durch Ausländer die Entwicklung der brasilianischen Lebensmittelwirtschaft.

Christian Moritz ist deutscher Rechtsanwalt in São Paulo/ Frankfurt a.M. und Präsident des Deutschen Anwaltverein Brasilien. Er ist zusammen mit Anneliese Moritz Verfasser des Länderkapitels Brasilien in dem von Evelyn Kirchsteiger-Meier und Dr. Tobias Baumgartner (beide Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften (ZHAW)) herausgegebenen englischsprachigen Fachbuch „Global Food Legislation“. 




Das Buch enthält eine Einführung in das brasilianische Lebensmittelrecht. Global Food Legislation. An Overview, Handbuch/Nachschlagewerk, 1. Auflage Juli 2014, 352 Seiten, ISBN: 978-3-527-33555-8, Preis Hardcover 129 Euro, Verlag Wiley-VCH, Weinheim.
Weitere Informationen: 

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