Freitag, 8. Mai 2015

Der Fall Chico Mendes

Liebe Deutschsprachige in Brasilien,

um einen Eindruck über das Entstehen der aktuellen Situation in der Amazonasregion zu bekommen, ist es oftmals hilfreich, einige wichtige Backgroundinfos zu kennen, mit welchen man bestimmte gesellschaftliche und politischen Zusammenhänge der heuten Zeit besser verstehen und einordnen kann. Eine bekannte Persönlichkeit ist in dieser Region Chico Mendes, der sich als ehemaliger Führer der Landarbeitergewerkschaft für die Rechte der Kautschukzapfer einsetzte. Inzwischen gilt er als Ikone des Regenwaldschutzes im Amazonasgebiet.

6. Acre
Der Bundesstaat Acre (Quelle: dw.de)
Über Chico Mendes
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Soldados da Borracha (Kautschuksoldaten) wurden die Brasilianer genannt, die zwischen 1943 und 1945 gen Amazonas zogen, um dort Kautschuk zu zapfen, welcher zu Zeiten des Zweiten Weltkrieges von den Vereinigten Staaten vermehrt benötigt wurde. Einer dieser Kautschuksoldaten war der Großvater von Chico Mendes. Die Familien, die nach Amazônia zogen, mussten sich innerhalb kürzester Zeit an ein vollkommen anderes Klima sowie an neuen Lebensbedingungen anpassen. Obwohl Brasilien Millionen von Dollar an Steuern mit dem Zapfen von Kautschuk einnahm, investierte die damalige Regierung keinen Centavo in diese Region. Die Gewerkschaftsbewegung erreichte den Bundesstaat Acre um 1974. Chico Mendes nahm an den ersten Sitzungen der „ Confederação Nacional dos Trabalhadores na Agricultura“ (Nationaler Bund der Arbeiter im Bereich Landwirtschaft) im Jahr 1975 teil, wo er die fundamentale Philosophie der Gewerkschaftsbewegung kennen lernte.
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Die Situation in Acre in den 70er und 80er Jahren

.3. O premio 500
Verleihung des Preise "Global 500" 1987 (Quelle: g1.globo.com)

In den 70er Jahren förderte die Regierung Landwirte und Viehzüchter aus dem Süden Brasiliens in Hinblick auf Umzüge in die Amazonasgebiete, um das Land im Norden zu einer finanziell ertragreichen Region zu machen. Diese sollten die Kautschukzapfer ersetzen und somit verdrängen, wobei der Regenwald zugunsten der Schaffung von Fazendas (Viehweiden) weichen musste. Das Konfliktpotenzial zwischen den beiden Gruppen wuchs somit stetig; die Viehzüchter stützen sich dabei auf eine sich ausweitende Viehwirtschaft, wohingegen die Kautschukzapfer auf die natürlichen und nachwachsenden Ressourcen des Regenwaldes angewiesen waren. Im Oktober 1985 war Chico Mendes Mitorganisator des ersten nationalen Treffens der Kautschukzapfer, bei welchem die Ideen des nachhaltigen Kautschukabbaus erstmals formuliert wurden. Ein Schwerpunkt lag dabei vor allem auf den Rechten der Kautschukzapfer in Bezug auf die Nutzung des Regenwaldes. Im Juli 1987 erhält Chico Mendes für sein Engagement den Umweltpreis “Global 500” der UNO.
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"At first I thought I was fighting to save rubber trees, then I thought I was fighting to save the Amazon Rainforest. Now I realise I am fighting for humanity." Chico Mendes
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Der Ermordung Chico Mendes'
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4. O assassinato de Chico
Pressebericht über die Ermordung Chico Mendes' (Quelle jblog.com.br)

Ende der 80er Jahre erreichte der Konflikt zwischen den Kautschukzapfern und den Viehzüchtern seinen Höhepunkt. Die Drohungen gegen Chico Mendes nahmen ernsthafte Ausmaße an. Am 22. Dezember 1988 wurde Chico Mendes vor seinem Haus erschossen. Im Dezember 1990 wurden die Großgrundbesitzer Darly Alves Silva und Darcy Alves Ferreira für den Mord an Chico Mendes zu 19 Jahren Gefängnis verurteilt.

Nach seinem Tod wurde das erste Naturschutzgebiet der Region, die “Reserva Extrativista Chico Mendes” , gegründet. Es umfasst 1 Million Hektar Wald im Bundesstaat Acre. Die Brasilianische Regierung hat ihn zum Patronen der brasilianischen Waldgebiete erklärt. Verschiedene Institutionen tragen seinen Namen, wie auch das “ Instituto Chico Mendes de Conservação da Biodiversidade”. Die Geschichte Chico Mendes' wurde zudem in mehreren Büchern und Filmen behandelt. Viele seiner Ideen lebten dank der Arbeit ehemaliger Weggefährten weiter, wie beispielsweise durch das Wirken von Marina Silva, welche später Umweltministerin wurde. Im Jahr 2009 wurde Mendes durch die brasilianische Regierung offiziell vollständig rehabilitiert; während der brasilianischen Militärdiktatur (1964–1985) wurde Mendes aufgrund seines Einsatzes in der Gewerkschaft verfolgt und mehrfach inhaftiert.
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Konsequenzen / aktuelle Situation
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Obwohl der Amazonaswald um 27,8% gewachsen ist, wuchs die Abholzungsrate in Acre zwischen August 20012 und Juli 2013 um 35%. Laut des „Instututo nacional de pesquisas especias (Inpe)” wurden 5843 km² Wald in der Amazonasregion zerstört; allein in Acre waren es 192km². Heutzutage leben lediglich 10% der Gewerkschaftsmitglieder vom Kautschukzapfen. 80% leben von der Viehwirtschaft. Das Problem besteht nicht nur im Preisverfall des Kautschuks, sondern auch in den weiten Entfernungen, die zurück gelegt werden müssen, um diesen zu verkaufen. Die Suche nach einer korrekten Nutzung des Regenwaldes geht weiter, auch 25 Jahre nach dem Tod Chico Mendes'. In den Nachbarländern Bolivien und Peru wird bereits nach Öl in der Amazonasregion gesucht. Die Suche nach Rohstoffen sowie der Bau von Häfen, Straßen und Staudämmen gehört zum offiziellen Plan der Regierung.
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7. Borracha
Kautschuk (Quelle:Zukunftsinvestitionen.com)

Gleichzeitig versprach die Regierung Brasiliens, die Abholzungsrate bis zum Jahr 2020 um 80% zu reduzieren. Zumindestens auf dem Papier bleibt die Regierung der Ideologie Chico Mendes' treu. Die Arbeiterpartei regiert das Land seit mehr als 10 Jahren; Chico Mendes war dabei einer der Parteigründer im Bundesstaat Acre. Die Regierung Rousseff hat bisher keine weiteren Naturschutzgebiete (Reservas Extrativas) gegründet. Im Gegenteil: Dilma Rousseff bleibt weiterhin von der ländlichen Lobby im Hinblick mit deren Unterstützung im Kongress abhängig. Aufgrund dessen hat sie ein Gesetz unterschrieben, welches den „codigo florestal“ (ein Gesetz, welches den Schutz der Wälder betrifft) verwässert, wodurch der Schutz des Amazonaswaldes zunehmend gefährdet wird. Eine Gruppe Abgeordneter, welche die Großgrundbesitzer unterstützen, setzt sich für die Rücknahme des aktuellen Naturschutzgesetzes ein, welches auch die Rechte der Indios stark beschneiden würde, die in der Verfassung von 1988 garantiert worden sind.
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Meinungen 
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Zum 25. Todestag Chico Mendes' gab es in der internationalen Presse Artikel über diesen Fall sowie Reflexionen zur aktuellen Situation. In der brasilianischen Presse werden vor allem die aktuellen Probleme der Lokalbevölkerung erwähnt sowie ihr Einsatz zur Verbesserung der Situation der Arbeiter. In der ausländischen Presse liegt der Fokus eher auf dem Mythos um die Person Chico Mendes' sowie auf dem Kampf gegen die Abholzung des Regenwaldes.
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5. Arpa mapa
Naturschutzreservate in der Amazonasregion

Pressestimmen
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